Deutsche Winzer und der Champagner

Der Champagner gilt als typisch französisches Produkt - und das zu Recht! Damit ein Schaumwein sich Champagner nennen darf, muss er strenge Richtlinien erfüllen. Neben der traditionellen Produktionsweise dürfen nur bestimmte Rebsorten verwendet werden, die auch nur aus einigen wenigen (französischen) Weinbaugebieten stammen dürfen. Was jedoch die wenigsten wissen: es waren tatsächlich Deutsche, die einige der renommierttesten französischen Champagner-Häuser, wie Bollinger und Veuve –Cliquot, aufbauten. Doch wie ist das möglich? Um diese Frage zu beantworten, ist eine kleine Geschichtslektion notwendig.

Im 19. Jahrhundert waren die Verhältnisse zwischen Deutschland und Frankreich äußerst spannungsgeladen. Napoleon Bonaparte hatte sich große Teile Europas unterworfen, konnte jedoch von der paneuropäischen Allianz, mit starker Beteiligung deutscher Truppen, zurück nach Frankreich getrieben werden. Bei der Leipziger Völkerschlacht starben in diesem Konflikt mehr als 100.000 deutsche Soldaten. Wie kann es also sein, dass ausgerechnet der damalige Erzfeind Deutschland beim Aufbau französischer Champagner-Häuser maßgeblich beteiligt war?

Tatsächlich waren es ganz pragmatische Gründe, die zu dieser ironischen historischen Entwicklung führten. Einerseits waren deutsche Händler, Geschäftsmänner und Weinbauern für ihre Disziplin und ihr Organisationstalent geschätzt und waren daher auch in Frankreich äußerst gefragt. Andererseits war Deutschland aber auch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein der größte Abnehmer für edle Schaumweine in Europa. Die deutschen Champagner-Pioniere hatten damit erstklassige Kontakte zu einem immens großen Kundenstamm.

Ein weiterer Vorteil der Deutschen war das schon damals gespannte Verhältnis der Franzosen zu Fremdsprachen. Während auf französischer Seite nur wenige Fremdsprachenkenntnisse existierten, waren besonders in den grenzenahen Regionen Deutschlands die Leute der französischen Sprache mächtig und hatten so einen entscheidenden Vorteil. Noch dazu waren viele Geschäftsmänner aus diesen Regionen auch mit der französischen Kultur und den dortigen Gesetzen äußerst vertraut. 

All diese Faktoren lieferten ideale Bedingungen für geschäftstüchtige deutsche Weinbauern und Weingenießer, ihr Glück beim damaligen Erzfeind Frankreich zu suchen. Vor diesem Hintergrund erscheint es gleich weniger verwunderlich, dass sich die Liste der deutschen Champagner-Pioniere wie eine Bestandsaufführung der heutigen Champagner-Elite liest. Unter diesen Männern finden sich unter anderem Namen wie Josef Jacob Placide Bollinger, Johann-Joseph Krug oder Peter-Arnold de Mumm.

Warum also gelten trotz dieses immensen deutschen Einflusses Champagner heute dennoch als typisch französische Produkte? Wieso wird das Werken der deutschen Pioniere beim Aufbau dieser renommierten Champagner-Häuser nicht als Glanzstunde deutsch-französischer Kooperation honoriert?

Tatsächlich entschieden sich viele der deutschen Champagner-Pioniere für die französische Lebensart und Staatsbürgerschaft des Gastlandes Frankreich. Viele von ihnen waren bereits vor dem Schritt nach Frankreich von der französischen Lebensart äußerst angetan und nutzten nun die Gelegenheit, sich komplett von den deutschen Wurzeln zu verabschieden. Nicht wenige heirateten auch französische Frauen und stärkten so ihre Kontakte zu den französischen Handelspartnern. Nicht zuletzt aus Marketing-Gründen wurde der Champagner schließlich als französisches Kulturgut angepriesen, wobei die deutschen Wurzeln der Gründerväter dezent unter den Tisch gekehrt wurden. Eduard Werle etwa, Teilhaber des Champagner-Hauses Veuve Cliquot, wurde 1852 sogar Bürgermeister der Stadt Reims. Obwohl er einen ausgeprägten deutschen Akzent hatte, wurde er von den französischen Bürgern als einer der ihren gesehen.

Der Schlußstrich unter diese Einbürgerung deutscher Geschäftsmänner und Winzer wurde spätestens durch die deutsch-französischen Kriege ab 1870 gezogen. Diese Ereignisse trieben den Keil noch tiefer zwischen Deutschland und Frankreich, wodurch die deutschen Wurzeln der französischen Champagner-Häuser weiter in Vergessenheit gerieten.